Kapellchen - Eine Messe „solang steht die Erden“

17.12.2007

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WZ online

Neuss. Für Klaus Haas ist das schmale Gebäude im Schatten des Obertors schlicht das Kapellchen – wie für so viele Neusser. Und doch hat er eine besondere Beziehung zu dem geschichtsträchtigen Ort, nicht nur, weil er am Schützensonntag seit Jahren mit seinem Schützenzug „Nüsser Stolz“ hier die Messe hört.

Kloster wurde zum Privathaus
Wenn er in einem kleinen Büroraum in seinem Haus am Schreibtisch sitzt, könnte er eigentlich direkt durchgehen ins Kapellchen. Wenn denn die Verbindungstür nicht zugemauert wäre.

Der Raum war früher Sakristei. Das Ehepaar Haas lebt seit einigen Jahren in dem Haus, das lange Zeit Kloster der Augusterinnen war. Das Kapellchen ist sehr viel älter.

Klaus Haas hat nun mit Gleichgesinnten einen Förderverein gegründet, um die „Kapelle zur Schmerzhaften Mutter“ zu erhalten und zu pflegen.

Die Geschichte der kleinen Marienkapelle reicht sehr viel weiter in die Geschichte zurück als das Alter des jetzigen Gebäudes. Der Stadtschreiber Christian Wierstraat beschreibt im 15. Jahrhundert die Ereignisse, die auch die Kapelle am Tor betrafen.

Die stand hier wahrscheinlich schon seit dem 13. Jahrhundert. Die ältesten Nachrichten jedenfalls betreffen die Zeit der burgundischen Belagerung. Als die Lage der Neusser ganz verzweifelt wurde, sammelten sie sich zu einem Bittgang zum Obertor.

Das war am 21. April 1475. Als die Menschen zu Maria beteten, so berichtet es Wierstraat, schossen kölnische Hilfstruppen eine Nachricht mit einer Kanonenkugel in die Stadt: Hilfe war unterwegs.

Die Bürger gelobten: „Wir Neußer Bürger all zusammen/ Geloben dies in Gottes Namen/ Zu büßen, was versäumet worden/ In der Kapell bei dieser Pforten/ Soll Samstags solang steht die Erden/ Eine Erbmeß stets gelesen werden.“ 

Neun Goldgulden im Jahr für die Samstagsmessen
Das Gelöbnis wurde umgesetzt, eine Bruderschaft gegründet, und Akten belegen, dass die Stadt jährlich neun Goldgulden an die Bruderschaft zahlte, um die Samstagsmessen zu finanzieren.

Eine weitere Nachricht über den bald Obertorkapelle genannten Ort der Einkehr stammt aus dem Jahr 1711. Bürgermeister Klump bemerkt: „...wasmaßen die Oberpforten-Muttergottes-Kapelle dergestalt baufällig sei, daß sie nächstens nicht ohne großen Schaden überhaufen fallen dürfte.“

Die Kapelle wurde abgebrochen, am selben Ort entstand der Neubau. 40 Kannen Bier, so ist penibel festgehalten, wurden zum Richtfest ausgegeben und sicher auch getrunken, der erste Gottesdienst 1713 gefeiert.

Zur Franzosenzeit ging die Kapelle in die Armenverwaltung der Stadt über, blieb aber als Gotteshaus erhalten; die kleine Bruderschaft löste sich auf.

Im 19. Jahrhundert wurde das baufällige Nachbarhaus abgebrochen und neu gebaut; 1865 kauften die Augustinerinnen für 1305 Taler. Das Kloster diente dann als Ort der Krankenpflege, bald als Hostienbäckerei, ab 1887 auch als Nähschule.

Im Jahr 1900 zerstörte ein Großfeuer Mühlen am Obertor, das Tor selbst wurde beschädigt, die Kapelle selbst und das Nachbarhaus überstanden den Brand.

Es folgte ein heftig ausgetragener Streit um einen möglichen Abbruch des Kapellchens, sollte doch das Tor „freigelegt“ werden. Die Neusser kämpften für den Erhalt – und setzten sich durch. 

Angetan von dem „unverwechselbaren Charme“
Das Kapellchen auch weiterhin zu erhalten, die Kapellentradition aufleben zu lassen, ist Ziel der neuen Fördervereins. Das Obertorklösterchen ist nach einigen Besitzerwechseln liebevoll restauriertes Privathaus.

Von der Giebelwand aus fällt der Blick direkt auf das Glöckchen, das jeden Tag um 12 Uhr und 18 Uhr läutet. Für Klaus Haas ist das nur ein Bestandteil des „unverwechselbaren Charmes“, den das Kapellchen für ihn ausstrahlt.

Kleinere Gottesdienste werden hier gefeiert, oder jetzt im Advent die Orate-Messen. „Und dann“, sagt Haas, „sind um 7Uhr morgens 30 Leute da, und die Kapelle ist voll, und es ist einfach wunderschön.“