Ein Kompass und zu viele Kompromisse?

21.08.2008

Kann der christliche Glaube eine Richtschnur für politisches Handeln sein? Was tun bei Konflikten zwischen christlicher Überzeugung und Stimmungen des Wahlvolkes? Soll eine Partei wie die CDU sich das „C“ aufbürden? Solche und ähnliche Fragen standen im Mittelpunkt des jüngsten „Neusser Stadtgesprächs“.

Auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Jungen Kirche im Rhein-Kreis Neuss diskutierten darüber Christa Nickels (Grüne), ehemalige Staatssekretärin und heute Mitglied des Zentralkomitees der Katholiken (ZDK), sowie Hermann Gröhe MdB, Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und an führender Stelle in der Evangelischen Kirche engagiert. Der Saal des Kardinal-Frings-Hauses war gut besetzt, vor allem mit Lokalpolitikern, jedoch mit erschreckend wenig jungen Christen. Die Moderation übernahmen Kreisjugendseelsorger Marcus Bussemer und Lina Wöhl, Messdienerleiterin aus Grevenbroich.

Zwei unterschiedliche Biografien

Die Grüne Nickels hatte es nicht immer einfach: Als Christin wurde sie von den Themen Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung bewegt und gründete deshalb 1979 die Grünen in NRW mit. In dieser Zeit spürte sie durch das Zweite Vatikanische Konzil auch in der Kirche einen Aufbruch, doch brachte die Kirche ihrem Engagement wenig Respekt entgegen. So konnten die Grünen beim Katholikentag 1986 in Aachen lediglich als Anhängsel der „Kirche von unten“ teilnehmen – unter lautem Protest des ZDK und des Kölner Erzbischofs. Doch Nickels blieb ihrem Engagement treu: „Das Christentum fordert immer dazu auf, Partei zu ergreifen für das Leben, die Schwachen, für die nächste Generation.“ Heute ist sie selbst Mitglied des ZDK.

Hermann Gröhe sind solche Auseinandersetzungen fremd. Für ihn war „die deutsche Christdemokratie von Anfang an ein ökumenisches Projekt“. Ihr Markenkern seien Menschen, die sich zum christlichen Glauben bekennen. Gröhe betonte vor allem das Gemeinsame der Konfessionen und sah in den konfessionellen Unterschieden eine Bereicherung für die politische Diskussion. Unter Christen in der Politik gebe es häufig Einigkeit im Ziel, im Weg dorthin aber unterschiedliche Ansätze.

Was genau ist der Kompass?

Eindeutiger Kompass für politische Entscheidungen sind für ihn weder die protestantische Vielfalt, noch das katholische Lehramt. Er sieht im christlichen Glauben eine „gewissensschärfende Begleitung“, aus welcher der Einzelne etwas machen müsse. Im Zentrum aller Bemühungen stehe dabei die Menschenwürde. Ähnlich sah es Nickels: Sie stellte das Wohlergehen aller, auch der Schwachen, in den Mittelpunkt ihres Engagements. Freilich gab sie zu, als Katholikin angesichts des Spagats zwischen Amtskirche und Realität vor einer besonderen Herausforderung zu stehen.

Was aber, wenn es zu Konflikten zwischen einer vom christlichen Glauben getragenen Position und Stimmungen bei den Wählern kommt? Gröhe möchte als Politiker auch für seine Überzeugungen werben, sieht es als Herausforderung an, Mehrheiten für sich zu gewinnen. Dagegen sei es nicht angebracht, jeder Stimmung blind zu folgen. Deswegen trage die CDU auch in der heutigen Zeit noch zurecht das „C“ in ihrem Namen, sei es doch zudem Ausdruck der christlichen Meinungsvielfalt, nicht aber eines Exklusivitätsanspruchs.

Klare Aussagen möglich?

Wer von der Diskussion klare Antworten auf politische Einzelfragen oder Anweisungen an das persönliche Verhalten eines Politikers erwartet hatte, wurde enttäuscht. Dies wurde nicht nur deutlich, als Gröhe und Nickels die (Un-)Christlichkeit ihrer eigenen Parteiprogramme analysierten, sondern auch, als es um die konkreten Fragen ging, ob man schon einmal eine Entscheidung bereut habe oder ob man einen Kandidaten, der den Amtseid ohne religiöse Beteuerung leistet, wählen würde. Dies lag aber nicht daran, dass die beiden Diskutanten sich um deutliche Aussagen gedrückt hätten. Im Gegenteil: Ein Zuhörer lobte die Klarheit und Ausführlichkeit der Antworten, die so ganz anders sei als in politischen Talksendungen.

Vielleicht ist aber genau in dieser gewissen Unbestimmtheit die eigentliche Botschaft des Abends verborgen: Aus dem christlichen Glauben lassen sich keine konkreten Handlungsanweisungen für Politiker ableiten. Glaubensaussagen können immer nur Richtschnur – oder eben Kompass – sein. Den konkreten Weg müssen alle, die für Staat und Gesellschaft Verantwortung tragen, selbst aus der Botschaft der Bibel ableiten und finden.